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Die Salzgitter AG will bei der Stahlherstellung künftig bis zu 95 Prozent CO2 einsparen. Schon jetzt bietet der Konzern „grünen Flachstahl“ mit reduziertem CO2-Fussabdruck an - dabei schafft VERIsteel höchste Transparenz.

Die Salzgitter AG hat sich selbst ein Ziel gesetzt, das man mit der Bewältigung einer Mammutaufgabe gleichsetzen kann: die Dekarbonisierung der Stahlerzeugung. Es gilt, Stahl zu produzieren, der so weit möglich ohne Freisetzung von Kohlendioxid auskommt. Low carb steel gewinnt global rasant an Bedeutung. Dafür soll Wasserstoff eine zentrale Rolle spielen, der bei der Gewinnung von Eisen aus Eisenerz Kohle ersetzen soll. Der CO2-Ausstoß würde sich dadurch drastisch verringern. Nachhaltig wäre die Produktion dann, wenn wiederum der Wasserstoff klimaneutral („net-zero“) durch Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt würde. Dies will die Salzgitter AG schrittweise bis 2050 erreichen.

Um schon jetzt auf dem Weg zu einer weitgehend kohlendioxidarmen Herstellung von Stahl voranzukommen und die Nachfrage bedienen zu können, produziert die Salzgitter AG „grünen Flachstahl“ über die Verfahrensroute im Stahlwerk der konzerneigenen Peiner Träger GmbH, wobei hochwertiger Stahlschrott im Elektrolichtbogen eingeschmolzen und anschließend als Bramme (Vorblock) vergossen wird. Die Stahlprodukte für die Kunden werden dann bei der Schwestergesellschaft Salzgitter Flachstahl GmbH in mehrerern Produktionsprozessen weiterverarbeitet. Unterstützt wird der Salzgitter-Konzern von der TÜV SÜD Gruppe mit einer neuen, höchst transparenten Methode. Dafür wurden im Frühjahr 2021 zwei Prozessrouten zur Produktion von Flachstahl validiert und verifiziert. Mit dem VERIsteel-Verfahren von TÜV SÜD ist es möglich, die produktspezifischen CO2-Emissionen zu bestimmen.

 

VERIsteel-Verfahren ermöglicht Vergleich

Gerhard Kirner, Abteilungsleiter Umwelttechnik bei TÜV Hessen, hat den Prozess begleitet, der im November 2020 startete. „Wir haben zwei verschiedene Herstellungsrouten für Feinblech betrachtet“, sagt Kirner. Eine Bramme Stahl, die als gemeinsames Zwischenprodukt des Prozesses definiert war, kann man auf zwei verschiedene Arten herstellen: auf traditionelle Weise mit der Hochofenroute – oder aber mit der bisher bei Salzgitter noch deutlich seltener eingesetzten Elektrolichtbogenofenroute. Am Ende des VERIsteel-Verfahrens lässt sich exakt bestimmen, welche der beiden Varianten zur Erzeugung des Stahls wie viel weniger Kohlendioxid freisetzt.

Neben dem Vergleich der beiden Verfahren definierten die Sachverständigen von TÜV Hessen noch eine weitere Baseline: die Veredelung der Bramme zu feuerverzinktem Feinblech. Damit wird von dem sogenannten Sprungpunkt der Bramme ein verkaufsfähiges Endprodukt betrachtet, das zum Beispiel in der Automobilindustrie als Einsatzstoff verwendet wird und seitens OEMs große Akzeptanz findet. Technisch betrachtet ist die traditionelle Hochofenroute ein über Jahrhunderte optimiertes Verfahren. Dabei entsteht aus den Rohstoffen Kohle und Eisenerz Roheisen, das in anschließenden Prozessschritten zu Rohstahl weiterveredelt wird. Der Haken dabei: Um eine Tonne Rohstahl zu erzeugen, entstehen knapp zwei Tonnen CO2.

 

Wasserstoff wird Kohlenstoff ersetzen

Daher hat die Salzgitter AG sich ein ambitioniertes Fernziel gesetzt: Bis zum Jahr 2050 soll Kohlenstoff in der Stahlproduktion durch grünen Wasserstoff und Strom aus erneuerbaren Quellen ersetzt werden. So wie bisher Koks verwendet wird, soll auch Wasserstoff eingesetzt werden: als Reduktionsmittel zum Binden des Sauerstoffs. Der Clou: Dabei entsteht kein klimaschädliches Kohlendioxid, sondern H2O, also schlicht Wasser. Im Rahmen des Technologieprojekts SALCOS – SAlzgitter Low CO2 Steelmaking hat die Salzgitter AG mit Partnern bereits erste Schritte hin zu einer drastisch verminderten Stahlproduktion unternommen und nachgewiesen, dass die bisherigen CO2-Emissionen schrittweise um 95 Prozent gesenkt werden können.

Um den Energieträger und das Reduktionsmittel Kohle durch Wasserstoff zu ersetzen, investieren Betreiber integrierter Hüttenwerke in neue Technologien. Eine Möglichkeit besteht darin, direkt reduzierte Eisenpellets (Eisenschwamm) zu verwenden. Diese DRI-Pellets werden bei hohen Temperaturen aus Eisenerz und Wasserstoff hergestellt. Der Sauerstoff im Eisenoxid verbindet sich dabei mit dem Wasserstoff.  Das Produkt ist direktreduziertes Eisen, das schon zu 90 Prozent aus metallischem Eisen besteht. Der letzte Verarbeitungsschritt schließlich sieht vor, dass die Pellets in Elektrolichtbogenöfen mittels Strom eingeschmolzen werden.

Doch vom Ausblick in eine CO2-freie Zukunft zurück zum aktuellen Stand: Um den Vergleich von Hochofenroute zu Elektrolichtbogenofenroute bei der Salzgitter AG anstellen zu können, prüften Nikolaus Kröger und Gerhard Kirner von TÜV Hessen und das Team der Verifizierungsstelle für Treibhausgase der TÜV SÜD Industrie Service GmbH die Bilanzierungsmodelle auf Plausibilität, Vollständigkeit und Richtigkeit. In die Betrachtung mit einbezogen wurde zum Beispiel auch, welche vorgelagerten CO2-Frachten die Stoffe haben. „Wenn etwa das Erz über das Schiffswerk zur Hütte angeliefert wird, werden diese Mengen an Kohlendioxid mitberücksichtigt“, erklärt Gerhard Kirner. Auf der anderen Seite kann es aber auch positive Effekte geben. Bei der Begutachtung wurden alle direkten und indirekten Emissionen in den Produktionsprozessen unter die Lupe genommen – CO2 bei der chemischen Reaktion im Hochofen genauso wie im Kraftwerk zur Erzeugung von Strom und Prozessdampf. Sämtliche untersuchten Daten stammen allesamt aus dem Basisjahr 2018.

Um die produktspezifischen CO2-Emissionen nachzuweisen, begutachteten die Sachverständigen alle relevanten Prozesse und Stoffströme. Diese Vorgehensweise ist die Basis des VERIsteel-Verfahrens. Es fußt auf der DIN EN ISO/IEC 17029 und referenziert relevante Teile weiterer Normen. „Durch die Kombination von relevanten Teilen aus verschiedenen Normen kann der Dekarbonisierungsprozess treffend beschrieben werden“, erklärt Gerhard Kirner. Auch anstehende Investitionen in Anlagentechnik können mithilfe von VERIsteel bewertet werden.

 

75 Prozent weniger CO2 in der Produktion

Das Ergebnis der Betrachtung ist eindeutig: Um eine Bramme herzustellen, wird bei der Elektrostahlroute zur Stahlerzeugung gut 75 Prozent weniger CO2 freigesetzt als bei der herkömmlichen Hochofenroute – und immerhin noch 66 Prozent Kohlendioxid eingespart in der Bilanz des feuerverzinkten Feinblechs. Damit erhielt die Salzgitter AG als erster europäischer Stahlhersteller zwei Konformitätsaussagen nach dem VERIsteel-Verfahren. Dass die beiden Prozessrouten korrekt definiert und umgesetzt wurden, hat der Prüf- und Zertifizierungsdienstleister TÜV SÜD bestätigt. Reiner Block, CEO der Division Industry Service der TÜV SÜD AG, sagt: „Standardisierung ist die Voraussetzung für die Vergleichbarkeit von Prozessen und Produkten. Mit der neutralen und voll transparenten Validierung und Verifizierung durch TÜV SÜD hat die Salzgitter AG die Basis für eine belastbare CO2-Aussage bezüglich ihrer Produktion und ihrer Produkte geschaffen, um zielgerichtet weitere Stufen der Dekarbonisierung zu realisieren.“

VERI-Produkte finden analog Anwendung in anderen energiereichen Produktionen wie etwa der Glasindustrie. Aber auch der Dekarbonisierungsprozess von ZERO Emissions-Programmen wird begleitet. 


Autor: Matthias Voigt