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Die akustische Kamera sorgt für eine nachhaltige Lösung bei Hengstenberg in Fritzlar.

Sauerkraut gilt als typisch deutsch – und ist gleichzeitig in vielen Ländern ein beliebtes Gemüse. Um die große Nachfrage zu befriedigen, produziert das Familienunternehmen Hengstenberg an mehreren Standorten in Deutschland. Dafür werden in Fritzlar jährlich etwa 33.000 Tonnen Weißkraut und 6.000 Tonnen Rotkraut verarbeitet. Dort herrscht vor allem zur Saison im Herbst Hochbetrieb. Der Kohl wird geliefert und die fertigen Artikel abgeholt. Doch das Werk in Nordhessen stellt nicht nur Sauerkraut her, auch Gurken und Wurzelgemüse wie Rote Beete oder Sellerie werden verarbeitet. Damit die Produktion nicht ins Stocken kommt und Waren auch nachts transportiert werden können, benötigte das Unternehmen eine behördliche Genehmigung für die Warenabholung im Nachtbetrieb.

Die Lieferungen sind speziell für die Anwohner ein Problem, denn der Verkehr mit vielen Lkws bringt eine starke Lärmbelastung mit sich. „Der Kontakt und das gute Verhältnis zu unseren Nachbarn ist uns sehr wichtig, denn unsere Fabrik liegt in einem Mischgebiet aus Wohnhäusern und Gewerbe“, sagt Hengstenberg-Werksleiter Jörg Süllner. In den vergangenen Jahren wurden bereits viele Regelungen für eine geräuscharme Produktion realisiert, beispielsweise mit einem optimierten Schallschutz und einer Verlagerung sämtlicher Produktionsanlagen in geschlossene Räume. Zudem kommen beim Verkehr innerhalb des Geländes nur noch leise Flurförderzeuge zum Einsatz.

Werksverkehr auf dem Prüfstand

Damit die fertigen Waren auch nachts geräuscharm abgeholt werden können, entwickelte TÜV Hessen gemeinsam mit Hengstenberg und dem Logistikdienstleister Scherm-Gruppe einen Ausweg. Ein Elektro-Lkw sollte nachts den herkömmlichen Dieseltransporter ersetzen und weniger Lärm erzeugen. „Der Einsatz des Elektro-Lkw hat uns sofort überzeugt, denn er passt zu unserer Unternehmensphilosophie“, sagt Jörg Süllner. „Wir stellen unsere Produkte äußerst umweltbewusst her und verwenden ausschließlich Rohware aus nachhaltigem Anbau. Die spürbar emissionsarme Produktion ist dafür die ideale Ergänzung“.

Der Plan erforderte eine Genehmigung des Dezernats Immissions- und Strahlenschutz im Regierungspräsidium Kassel. Gefordert war ein Nachweis, dass die vorgegebenen Grenzwerte eingehalten werden. Für die Identifikation und Visualisierung der Lärmquellen wurde die akustische Kamera von TÜV Hessen genutzt. Ihre 40 Mikrofone erfassen die Schallwellen und visualisieren sie mit verschiedenen Farben. Das Ergebnis überlagert das reale Foto der Umgebung. Die unterschiedlichen Positionen der einzelnen Mikrofone erlauben die Lokalisierung von Schallquellen – eine Folge der unterschiedlichen Laufzeiten der Schallwellen. So lässt sich ermitteln, an welcher Stelle wie viel Lärm abgestrahlt wird. Eine Software mit verschiedenen Algorithmen verarbeitet die Informationen. Vorher-Nachher-Messungen machen die Resultate vergleichbar und erlauben die Analyse über einen längeren Zeitraum. Damit werden komplexe Schallpegelmessungen auch für Laien leichter verständlich.  

Dem Lärm auf der Spur

„Das Ziel war, belastbare schalltechnische Werte vorzulegen, damit Hengstenberg die Erlaubnis für die Warenabholung im Nachtbetrieb erhält“, sagt Andreas Lingenau, der für TÜV Hessen als qualifizierter Sachverständiger vor Ort war. Die Fahrzeuge für die Untersuchungen stellte die Scherm-Gruppe zur Verfügung. Das Transportunternehmen ist im Hengstenberg-Werk Fritzlar für die logistische Abwicklung verantwortlich.

Die Messungen fanden in zwei Zeiträumen statt. Zunächst war eine Bestandsaufnahme gefragt, um die Geräuschbelastung während des laufenden Betriebs festzustellen. Dafür wurden sämtliche Schallemissionen ermittelt. „Wir haben den gesamten Werksverkehr messtechnisch erfasst“, erklärt Andreas Lingenau, „von den Traktoren bei der Anlieferung über die Gabelstapler im innerbetrieblichen Verkehr bis zu den Lkws bei der Warenabholung“. Die Untersuchung beinhaltete auch Produktionsgeräusche und Belüftungen, um ein Gesamtbild zu erhalten.

Zur Prognose der Lärmausbreitung in der Nachbarschaft wurde ein Schallquellenkataster erstellt. Damit werden nicht nur Lärmquellen gezielt erfasst, die Kataster sind auch die Grundlage für eine gezielte Reduzierung der Emissionen. Andreas Lingenau war deshalb für die Messungen in und an allen Werkshallen auf dem Betriebsgelände aktiv – und ging mit den Mikrofonen auch auf die angrenzende Straße. Dabei wurde er von den seinen Kollegen Pascal Sames und Markus Gooßens unterstützt. Anschließend wurden die Lärmimmissionen in einer Ausbreitungsberechnung ermittelt und in einer Lärmkarte visualisiert. Das Resultat war eindeutig. Mit der vorhandenen Geräuschkulisse würde es keine Genehmigung für den Nachtbetrieb geben.

Eindeutiges Ergebnis

So wurde die Bestandsaufnahme zur Basis für einen funktionierenden Schallschutz. Mit Hilfe des Lärmkatasters wurden Schritte ermittelt, um die Geräuschemissionen von einzelnen stationären Schallquellen zu verringern. „In einer zweiten Messung haben wir die Lärmemissionen des Diesel- und Elektro-Lkw bei der nächtlichen Abholung von Waren ermittelt“, erzählt Andreas Lingenau. Auch hier waren die Werte unstrittig. Die Warenabholung in der Nachtzeit mit Diesel-Lkw würde zu Überschreitungen der Immissionsrichtwerte führen. Deshalb wurde der Elektro-Lkw zum zentralen Element der Lärmminimierung, denn er strahlt weniger Geräusche ab als herkömmliche Dieselfahrzeuge. Die Vergleichsmessungen beider Nutzfahrzeuge zeigten, dass die für den Nachtbetrieb relevanten behördlichen Immissionsrichtwerte nur mit dem Einsatz des Elektro-Lkw unterschritten werden. Den optischen Nachweis dafür erbrachte die akustische Kamera mit Videos und akustischen Bildern.

Die Analyse der Geräuschemissionen zeigte, dass die vorgegebenen Richtwerte mit dem Einsatz des Elektro-Lkws eingehalten wurden. Davon überzeugte sich auch Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke, der die Aufnahmen der akustischen Kamera persönlich begutachtete „Das Dezernat Immissions- und Strahlenschutz war ebenfalls sehr zufrieden mit unserer Lösung und den Ergebnissen der akustischen Kamera“, berichtet Jörg Süllner und zieht ein positives Fazit: „Die Genehmigung verlief problemlos. Speziell die zielorientierte Zusammenarbeit mit TÜV Hessen hatte daran einen großen Anteil.“ Davon profitieren auch die Nachbarn des Werks. Weil die fertigen Waren jetzt auch nachts abgeholt werden und der Elektro-Lkw zusätzlich tagsüber zum Einsatz kommt, sinkt der gesamte Verkehrslärm des Werks. Für Hengstenberg in Fritzlar ein weiterer Schritt zur geräuscharmen Produktion.